Der Weg nach Athen

Teil 1

English version

Also - hier ist die Geschichte für diejenigen, die noch nicht davon gehört haben… Kurze Version: Ich werde für die nächsten zwei Jahre nach Griechenland ziehen.

Für die, die gerade «Huh? Was?» gedacht haben… das ist immer noch meine Reaktion, obwohl meine Abreise nun weniger als drei Wochen entfernt ist. Also, hier ist die lange Version:

Am 18. März 2019 erhielt ich eine E-Mail von meinem Chef. Es handelte sich um eine weitergeleitete Mail seines Chefs, in der stand: «Ist jemand in Eurem Team interessiert?» mit einer Stellenanzeige: «Veröffentlichung eines Aufrufs zur Interessenbekundung für abgeordnete nationale Sachverständige (ANS) bei der ENISA». Moment… ENISA… doch, das kam mir bekannt vor. In derselben Woche erwähnte ich ENISA (ursprünglich die «Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit», jetzt einfach die «Europäische Agentur für Cybersicherheit») in einer Klasse, die ich unterrichtete. Ich erinnere mich, dass ich meinen Studenten erzählte, dass dies einer der grossen Akteure auf dem Markt sei und – als Witz – dass sie, wenn die ENISA mir einen Job anbieten sollte, einen neuen Dozenten finden müssten. Ich gab die Informationen an meine Teamkollegen weiter und dachte mir, dass dies in der Tat eine interessante Erfahrung sein könnte. An diesem Abend holte ich meine Frau bei einer Freundin ab und erzählte ihr bei einem spontanen Abendessen dort, dass ich da dieses nicht uninteressante Jobangebot gesehen hätte, mich aber nicht darauf bewerben würde, da es einen Umzug für zwei Jahre nach Athen bedeutete. Sie überlegte einen Moment und sagte: «Nun, warum bewirbst du dich nicht? Meine Unterstützung hast Du».

Am nächsten Tag sah ich mir den Brief noch einmal an. Nun… warum sollte ich mich nicht wirklich bewerben? Mein Profil schien zu dem zu passen, was sie suchten. Allerdings: Die Frist für Bewerbungen war der 20. März. Ich hatte nicht viel Zeit, meinen Lebenslauf ins Englische zu übersetzen, ihn in das Europass-Format umzuwandeln und ein Bewerbungsschreiben zu verfassen - aber hey, es war machbar. Am 18. März schickte ich meine Bewerbung an die Schweizerische Mission bei der EU mit der Bitte, sie an ENISA weiterzuleiten, und klopfte mir auf die Schulter, dass ich die Frist eingehalten hatte.

Ja, die Frist… die sich nach erneutem Durchlesen des Mails als der 20. März 2020 herausstellte. Ich hatte mich mit etwas mehr als einem Jahr Vorlaufzeit beworben. Die ersten Gedanken von wegen «Die müssen sich im Jahr geirrt haben, niemand schreibt so lange im Voraus Stellen aus» waren schnell zerstreut, als ich bemerkte, dass die Frist überall gleich war. In dem Brief, auf der Website der ENISA, auf der Jobseite der Europäischen Kommission… Wie auch immer. Besser zu früh als zu spät. Ich erwartete, mindestens ein Jahr lang nichts über meine Bewerbung zu hören.

Schnitt zum September 2019. Ich hatte gerade ein Vorstellungsgespräch für eine neue Führungsposition in unserer Organisation absolviert und rechnete voll damit, die Stelle zu bekommen, da ich das umfangreichste Netzwerk der drei KandidatInnen hatte und bereits drei Jahre lang als stellvertretender Bereichsleiter im selben Bereich tätig war. Ich bekam die Stelle nicht, aus Gründen, die sich mir nie ganz klar erschlossen haben. Ich habe meine Theorien, aber dies ist nicht der richtige Ort dafür. Folglich war es nicht der beste Monat für mich. Ich hatte bereits angekündigt, dass ich wahrscheinlich die Firma verlassen würde, aber bis zum April warte, um zu sehen, ob meine Bewerbung bei ENISA durchkommt. Zu meiner Überraschung erhielt ich am 7. Oktober eine E-Mail, in der ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Das Interview wurde geplant, die Webkonferenz-Software getestet und Vorkehrungen getroffen. An dem besagten Tag schaltete ich mich in die Konferenzschaltung ein, trug Anzug und Krawatte wie immer bei Vorstellungsgesprächen, nur um von einem Konferenzraum mit Leuten in T-Shirts und Hoodies begrüsst zu werden. Nun – besser so als umgekehrt. Das Vorstellungsgespräch war auf 45 Minuten angesetzt, obwohl mir mitgeteilt wurde, dass es auch kürzer sein könnte. Trotzdem hatte ich nicht erwartet, dass es nach zwanzig Minuten schon vorbei sein würde. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich mich geschlagen hatte, ausser dass einer der Interviewer irgendwann «excellent» murmelte, während er sich Notizen machte. Nach meinem letzten erfolglosen Vorstellungsgespräch wollte ich nicht versuchen, meine Chancen abzuschätzen. Ab und zu war ich versucht, den Unterkunftsmarkt oder die Wetterlage in Athen zu prüfen, meist gefolgt von einem virtuellen Klaps auf die Hand und der Ermahnung: «Mach dir keine Hoffnungen, du hast den Job noch nicht und es gibt wahrscheinlich sowieso jede Menge besserer Bewerber.»

Drei Wochen später… Ich kam gerade aus der wöchentlichen Sitzung mit unserem CSIRT, mein Chef hatte mir ein Angebot gemacht, das mich meine Entscheidung über meine Kündigung überdenken liess, und ich wartete auf ein Tram zurück ins Büro. Als ich abwesend meine Mail durchscrollte, sah ich eine Vorschau auf eine Nachricht, die an «Ihre Exzellenz» gerichtet war. «Mehr Spam» dachte ich… sie war aber nicht an mich, sondern an den Schweizer Botschafter bei der EU gerichtet, mit den Worten: «Ihre Exzellenz, in der Anlage finden Sie das an Sie adressierte Ernennungsschreiben, in welchem wir Sie um die Entsendung von Herrn Baumann bitten. Gewünschter Beginn so bald wie möglich».

Ich erinnere mich an nicht viel mehr von diesem Tag, ausser, dass ich meine Frau anrief und einfach sagte: «Holy sh… – I’m going to Greece». Der Rest ist verschwommen, aber getreu dem, was ich im März gesagt hatte, rief ich kurz darauf meine Schule an, um ihr mitzuteilen, dass sie einen neuen Dozenten finden müssen.

 
 

 

 

Published:

27 January 2020

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